„Systemisch“ einfach erklärt

In diesem Artikel erkläre ich dir den Systemischen Ansatz mithilfe einer kleinen Alltagsbegegnung von mir…

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Nachdem ich mir gestern Nachmittag irgendwie bei einer ungeschickten Bewegung einen Nerv im Rücken eingeklemmt habe beschließe ich heute meinem Chiropraktiker einen Besuch abzustatten, um den stechenden Schmerz möglichst schnell loszuwerden. Wie zu erwarten war ist das Wartezimmer für die offene Sprechstunde brechend voll und ich stelle ernüchtert fest dass noch elf Personen vor mir dran sind und ich mich auf eine sehr lange Wartezeit einstellen muss. Also hole ich mein Buch aus meiner Tasche und suche mir eine möglichst bequeme Ecke zum Lesen und Warten. Nur wenige Minuten nach mir betritt eine junge Frau den Raum. Sie wirkt gestresster als die anderen Leute und scheint von den Treppen zu den Praxisräumen ziemlich außeratem zu sein.  Sie bleibt in einer kleinen Ecke neben der Tür stehen und macht unaufhörlich kleine Wippbewegungen, die mich schon vom Zuschauen nervös machen. Nach einer Weile bieten ihr ein paar nette Menschen die freien Plätze neben ihnen an und fragen ob sie sich nicht setzen wolle, da die Wartezeit über eine Stunde wäre. Die Frau lehnt jedoch ab und wartet weiter stehend mit ihrem Körper wippend in ihrer Ecke. Nach ca. zwanzig Minuten verändert sich ihr Verhalten plötzlich vollständig. Das Wippen nimmt an Fahrt auf und sie wird nervöser und schaut abwartend zur Tür des Behandlungsraums. Schließlich nach ca. 10 weiteren Minuten als sich die Tür öffnet eilt sie zur Tür, scheinbar wohl wissend dass sie eigentlich noch lange nicht dran ist und bittet den Chiropraktiker und die anderen Wartenden ob sie vor dürfe, was diese ohne Murren gewähren.

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Und hier endet meine kleine Alltagserzählung und ihr fragt euch sicher worauf ich mit dieser skurilen Geschichte hinaus will. Das Verhalten der jungen Frau wirkt einfach etwas seltsam und letztlich werden sich die meisten Leser vermutlich denken: Ein paar seltsame Paradisvögel gibt es immer…! Tatsächlich habe ich jedoch in meiner kleinen Erzählung ein kleines Detail über den Kontext der Begegnung weggelassen mit dem ergänzt das Verhalten der jungen Frau auf einmal garnicht mehr seltsam erscheint. Denn wie Antoine de Saint-Exupery feststellte: „Um klar sehen zu können genügt oft ein Wechsel der Perspektive“.

Die junge Frau kam mit einem kleinen, neugeborenen und schlafenden Baby in einer Babytrage ins Wartezimmer. Natürlich hatten sie die Treppen mit dem zusätzlichen Gewicht am Bauch mehr angestrengt und sie entschied sich lieber stehen zu bleiben damit ihr Baby möglichst nicht aufwachte und dadurch die lange Wartezeit verschlief. Die sanften Wippbewegungen sollten das Baby beim guten Schlaf unterstützen. Als das Baby schließlich doch aufwachte bat die Frau darum vorgelassen zu werden, da das Baby ausgeschlafen am besten ruhig während der Behandlung auf einer kleinen Decke liegen würde. Natürlich hatten alle Beteiligten Verständnis dafür.

 

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Diese kleine Alltagsbegegnung beschreibt für mich sehr gut wie eine Systemische Sichtweise funktioniert. Systemisch denken heißt das Verhalten von Menschen nicht losgelöst von ihrer sozialen Umwelt zu betrachten, sondern sowohl die biologischen Eigenschaften, als auch den sozialen Kontext ihres Verhaltens einzubeziehen. Anstatt Menschen vorschnell für bestimmte Verhaltensweisen und Muster zu verurteilen, geht der systemische Ansatz davon aus, dass menschliches Verhalten immer Sinn macht in dem spezifischen Kontext in dem es stattfindet. Verändert sich der Kontext, verändert sich somit auch das Verhalten von Menschen. Wäre die junge Mutter beispielsweise mit ihrem Partner zusammen oder ohne ihr Neugeborenes in die Praxis gekommen, hätte sie sicher weniger Zeitdruck beim Warten gehabt.

Die Realität in der wir Leben ist Komplex und wir alle sind Teil unterschiedlichster Systeme (Familie, Freundeskreis, Arbeitsumfeld etc…). Bei vielen Problemen oder ungewönlichen Verhaltensweisen sieht man erst beim genaueren Hinschauen die guten Gründe für das Verhalten der Menschen. Nur wer versteht welche Funktion ein bestimmtes Verhalten oder ein spezifisches Problem hat, kann hierfür neue, nachhaltige Lösungen finden.

 





Systemisch denken heißt
das Verhalten von Menschen nicht losgelöst von ihrer sozialen Umwelt
zu betrachten, sondern sowohl die biologischen Eigenschaften, als auch den sozialen
Kontext ihres Verhaltens
einzubeziehen.

Die Systemische Sicht macht es möglicht, dass wir sowohl uns, als auch andere besser Verstehen. Gleichzeitig ermöglicht sie ressourcen- und
lösungsorientierte Interventionsmöglichkeiten bei Veränderungswünschen.

 

Gerade wenn man glaubt etwas ganz sicher zu wissen, muß man sich um eine andere Perspektive bemühen.

Gerne unterstütze ich dich bei deinen persönlichen Herausforderungen (systemische Einzelberatung) oder in Partnerschaftskonflikten (systemische Paartherapie).